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Offener Brief an die Bahamas-Redaktion vom Infoladen Bremen

In der Nummer 32 Eurer Zeitung habt ihr einen Artikel veröffentlicht, für den Ihr seitdem einige Male kritisiert worden seid, wozu Ihr allerdings nicht weiter Stellung nehmt. Auch wir haben Euren Artikel diskutiert und wollen Euch hiermit das Ergebnis mitteilen:

Wir halten den Text „Infantile Inquisition“, der sich inhaltlich in eine ganze Reihe anderer Texte von Euch stellt, für einen Infoladen mit linksradikalem, emanzipatorischen Anspruch für nicht tragbar. Uns geht es nicht darum eine Diskussion über die Definitionsmacht und den Umgang mit derselben zu behindern. Ganz im Gegenteil halten wir diese für überaus wichtig. Nicht ganz unbedeutend ist allerdings auch, in welcher Form dies geschieht. In dem besagten Artikel habt Ihr eine Form gewählt, die in ihrer Polemik nicht zu überbieten ist – und das, obwohl Ihr auch noch eine ganz konkrete Vergewaltigung zum Anlaß Eures Textes nehmt.
Das finden wir widerlich.

Ihr zitiert gleich nach Eurer Einleitung den Text der Frau, die im Dezember 1998 von Florian vergewaltigt wurde, und in dem sie kurz und in aller Deutlichkeit den Vorfall beschrieben hat: „Obwohl ich ihm mehrmals gesagt habe, daß ich nicht mit ihm schlafen will, hat er mich gefickt.“ Allein durch Eure anschließende Frage „Was war da vorgefallen? Der Autoren Neugier ging nicht so weit dem wirklichen Sachverhalt hinterher zu recherchieren.“ macht Ihr Euren Standpunkt fest. Denn solange es den Begriff der Vergewaltigung gibt, solange ist das die erste Reaktion auf den Vorwurf derselben gewesen. Schon immer müssen Vergewaltigungen nach einem ganz bestimmten Muster ablaufen, sonst sind sie - wenn überhaupt - keine richtigen. Eine Frau wird nachts von einem Fremden überfallen und mit direkter physischer Gewalt zur Penetration gezwungen. Sichtbar müssen danach innere oder äußere Verletzungen sein, als Ausdruck körperlichen Widerstandes seitens der Frau. Indem Ihr Euch auf ein Gerücht bezieht, welches besagt, daß die Frau mit Florian schon früher eine (sexuelle) Beziehung hatte; indem Ihr plastisch ausmalt, daß die (unmittelbare) Vorgeschichte zu der Vergewaltigung aus beidseitigem Interesse zustande kam; indem Ihr Alkohol, Einsamkeit und Sehnsucht als mögliche Erklärungen für dieses Interesse aufzählt und indem Ihr schließlich anhand all dessen die Vergewaltigung zu einer ‚Verführung‘ macht, macht Ihr Euch genau dieses Klischeebild der Vergewaltigung zu eigen. Ihr zählt all das auf, was in der Regel auch ein/e Anwält/in vor einem bürgerlichen Gericht zur Entlastung Florians anführen würde, um den Vorwurf gegen Florian auszuhöhlen.
Das halten wir für Reaktionär.

Dann fangt Ihr an zu psychologisieren. Indem Ihr der betroffenen Frau unterstellt, sehr wohl Lust gehabt zu haben mit Florian zu schlafen, und in der Gewißheit „danach mit Katzenjammer aufwachen [zu] werden“ allerdings an ihn „appelliert“ es nicht zu tun und sich dem ganzen schließlich doch hingegeben zu haben, erklärt Ihr etwas umständlich, was im allgemeinen einfacher heißt: „eine Frau sagt immer ´nein´ , auch wenn sie eigentlich ´ja´ meint“. Wenn Ihr dann aber auch noch der Frau unterstellt nur aus „Wut gegen sich [...] und mehr noch gegen ihn“ den Vergewaltigungsvorwurf formuliert zu haben, dann erklärt Ihr sie entweder für nicht ganz dicht, oder Ihr dreht den Spieß einfach um und macht aus der Definitionsmacht, die eigentlich zum Schutz der Opfer gedacht ist, eine gefährliche Waffe gegen Männer, die in der Hand einer Frau völlig willkürlich eingesetzt werden kann. Damit macht Ihr den Täter zum Opfer, die Klägerin zur Angeklagten. Auch das ist in bürgerlichen Vergewaltigungsprozessen gängige Praxis. Ihr geht aber noch weiter. Denn Ihr verlaßt die Ebene des konkreten Falles um zum großen Rundumschlag auszuholen. Ihr versucht durch Freud zu erklären wie schwierig es ist zwischen eigenen Gefühlen/Wünschen/Bedürfnissen und den Anforderungen der Außenwelt zu unterscheiden, um so auch gleich zukünftigen Vergewaltigungsvorwürfen die Glaubwürdigkeit zu nehmen. „Damit ist genau der seelische Vorgang beschrieben, der aus einer Verführung, die ja an irgendeinem Mindestinteresse beim anderen ansetzen muß, eine Vergewaltigung neuen Typs werden läßt. Der Außenwelt, dem anderen, wird zugeschoben, `was offenbar im Ich entstanden´ ist: die Lust nämlich.“ Dieser Vorgang hat nicht wenig mit Projektion zu tun, und hätte noch viel besser erklärt, warum Florian nach der Vergewaltigung die Frau gefragt hat, ob es in Ordnung sei, ihr trotz eines Neins „Lust gemacht“ zu haben, oder ob sie das als Vergewaltigung ansehen würde. Aber diese Frage habt Ihr Euch natürlich nicht gestellt. Ihr habt Euch lieber Gedanken zum Begriff „Lust“ gemacht, und Ihr kommt zu einem erschreckenden Ergebnis: „Verbannt im Giftschrank der Seele wuchert die Lust. Sie tritt per se aggressiv, grenzüberschreitend, ungesittet auf.“ Und was heißt noch mal „per se“? Eigentlich sowas wie „an sich“, „von sich aus“ – also immer, von alleine, unabhängig von gesellschaftlichen Einflüssen, von Natur aus, immer und ewig. Das mutet sehr fatalistisch an, und verleugnet komplett den Einfluß von kulturellen Vorstellungen, Sozialisation usw. Daß Ihr Euch an dieser Stelle so ausgiebig mit der Triebgeschichte der Menschen auseinandersetzt, erinnert stark an das gängige Klischee von männlicher Sexualität (Männer sind so.), und dient, wie sonst auch, dazu gerade Männern die Verantwortung für Ihr Handeln abzunehmen. Auch tut Ihr so als sei es irgendwie natürlich „in Phantasie und im Liebesspiel [...] die große Überrumpelung, das Genommenwerden vom „wilden Mann“ [...] lustvoll“ zu durchleben; Ihr schreibt, daß zu Sexualität immer Grenzüberschreitungen gehören würden. Aus den Leuten, die sich an dieser Definition von Lust und Sexualität nicht orientieren wollen und die diese darum auch in der Debatte um die Definitionsmacht erst gar nicht gelten lassen, macht Ihr „eine Gemeinschaft der Unbefriedigten“, die „im als ‚Vergewaltigung‘ rubrizierten ‚Lust Machen‘ das Böse schlechthin sieht“ und „im ‚Täter‘-jagenden Halali sich einigt“. „Selbst dann, wenn sie zu einer Klosterbrüder und –schwesternschaft mutiert sind, die ihre durch Verzicht und Verfolgung teuer erkaufte Unfehlbarkeit in einer lauwarmen aber ewigwährenden Gemeinschaft zu etablieren wissen, selbst dann werden sie das Unreine, das Verlangen, die Begierde und die Aggression nicht ausrotten können.“ Und weil Ihr Euch so sicher seid daß dies einfach so sein muß, ist für Euch auch klar, daß es, wie bei Florian, auch zwangsläufig dazu kommen muß, daß „Männer ihren inneren Politkommissar mit ins Bett nehmen“ und daß dadurch wiederum die „Vorbereitung und Ausführung des Sexualakts für die Beteiligten zum peinigenden, Angst- statt Lustschweiß produzierendem Erlebnis [wird]. Der wilde Ausbruch in verrohte Stechermentalität muß da angelegt sein.“ Auch diese Argumentation ist nicht neu. Der Mann, als unsicher gewordenes Opfer der Emanzipation, weiß sich nicht mehr anders zu helfen als zur Gewalt zu greifen. Allzuoft schon wurden so Fälle von Vergewaltigung und sexuellem Mißbrauch/sexueller Nötigung erklärt. Männerzeitschriften, Ratgeberbücher für Männer und erschreckend viele Zeitungs- oder Fernsehpsychologinnen empfehlen hier eine Rückbesinnung auf alte Werte, ein sich zum Mannsein Bekennen. Das ist doch auch, was Ihr als „gesamtgesellschaftlichen, antifeministischen rollback“ bezeichnet? Gerade aber auch das Stigmatisieren von Feministinnen als sexuell unbefriedigt, frigide und voller Haß auf Männer ist nicht neu. Die von vielen Männern empfohlene Therapie dagegen – ‚die muß nur mal von einem richtigen Kerl rangenommen werden‘ – erinnert stark an Eure Definition von Lust und Sexualität (von einem wilden Mann überrumpelt/genommen zu werden). Natürlich versäumt Ihr es nicht, immer wieder zu betonen, daß die Linke, von der Ihr sprecht, eine aus in erster Linie aus Männern bestehende ist. Aber die Definitionsmacht die Ihr kritisiert, ist eindeutig von der feministischen Frau-enbewegung erkämpft worden, und Ihr schreibt ja auch so schön: „eine Minderheit ist es nur, die dieses Ritual regelmäßig wieder aufleben läßt und eine große Mehrheit zollt entweder distanzierten Beifall oder schweigt unauffällig und tut hinter vorgehaltener Hand kund, für wie hohl und überflüssig man die Veranstaltung halte.“
Das alles halten wir für gefährlich.

Daß Ihr das Patriarchat für so gut wie überwunden erklärt und infolgedessen auch den Feminismus nicht mehr wirklich ernstzunehmen braucht, ist eigentlich nichts wirklich neues. Ihr schreibt, daß das Gegenteil zwar immer behauptet, niemals aber Belege dafür gebracht würden. Wir sehen in der Vergewaltigung und in dem darauf folgenden Umgang damit einen krassen Ausdruck des Patriarchats. Einen anderen sehen wir in Eurem hier besprochenen Text. Da wir das Patriarchat durchaus noch bekämpfen wollen, haben wir entschieden die Bahamas ab sofort nicht mehr zu verkaufen da wir dies für nicht vertretbar halten. Wir werden aber solange, bis wir denken daß die Debatte um Euren Text ein Ende hat, weiterhin jeweils ein Leseexemplar Eurer Zeitung in unserem Laden haben. Dieses bitten wir Euch, uns weiterhin zuzuschicken.

Infoladen Bremen, Dez. 2000
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[zum Anfang]    *    zuletzt aktualisiert am: 18.08.2001