[home]     [Info/Geschichte]     [Vernetzung]     [Adressen]     [Publikationen]     [Links]     [sitemap]

Den Standard halten:

Mitarbeiter verschiedener Ostberliner Infoläden über Sinn und Unsinn ihrer Arbeit.

Die Krise der Infoläden ist offenbar: nachlassende Besucherzahlen, Personalsorgen, Schwierigkeiten, noch einigermaßen interessante Themen anzubieten, inhaltliche Probleme. Wir sprachen mit Mitarbeitern verschiedener Ostberliner Infoläden, Erna aus dem Infoladen Bambule in der Schönhauser 20, Barbara und Detlef aus dem Eine-Welt-Laden Baobab und Maik und Dietmar aus dem Bandito Rosso in der Lottumstraße 10a.

Maik: Es gibt natürlich Unterschiede in der Entstehung der einzelnen Infoläden. Wir haben die Lottumstraße 10a besetzt und haben, bevor wir im Haus gewohnt haben, den Laden ausgebaut und im Laden gearbeitet. Die Idee, daß wir auch im Haus wohnen, ist erst später entstanden.

telegraph: Der Infoladen in der Schönhauser Allee ist dagegen erst entstanden, nachdem die Wohnungen besetzt wurden?

Erna: Das war inoffiziell im September 1989, offiziell im Dezember. Da wurden Transparente herausgehängt, daß das Haus besetzt ist. Die beiden Häuser Schönhauser 20 und 21 waren zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Abrißplan. Einige Leute, die zusammen wohnen wollten, zogen in die leeren Wohnungen. Das wurden dann schnell viel mehr. Es gab Unterschriftensammlungen, wo sogar die Polizisten von der Polizeiinspektion nebenan unterschrieben. Und dann gab es auch schon ein Infocafé, das mit alten Sesseln und Matratzen eingerichtet wurde. Bald wurde aus den Häusern das erste Ostberliner ABM- Projekt.

telegraph: Es war das Vorzeigeprojekt des Westberliner Senats.

Erna: Es war das erste offiziell besetzte Haus von Ostberlin, das dann auch in dem 25-Millionen Projekt der Stadt war. Für die Renovierung der Nummer 21 haben wir 3,5 Millionen Mark bekommen, für die 20 2,5 Millionen.

Maik: Dieser erste 25-Millionen-Topf war 1990 da. Wir haben gesehen, woher dieses Geld kommt. Es wurde aus den Sozialfonds abgezogen. Es gab eine Reihe von Häusern, wie wir in der Lottumstraße 10a, die davon nichts wissen wollten.

Erna: Bei uns fehlte den meisten dafür das Bewußtsein. Fast alle aus dem Haus waren über ABM eingestellt. Als das Geld kam, begann die Gemeinschaft zu bröckeln. Viele haben sich Markenklamotten gekauft und sind ihren eigenen Weg gegangen.
Die Idee für den Infoläden bestand schon länger. Es kam ein Papier heraus, in dem sich die Schönhauser 20 und 21 vorstellten und verschiedene Projekte beschrieben wurden. Es sollte eine Kneipe entstehen, ein Infoladen, ein Kinderladen...

telegraph: ... und das vielberedete Libertäre Zentrum.

Erna: Mit dem Libertären Zentrum wurde angefangen, aber bald ist der Kreis auseinandergefallen.

Dietmar: Da haben die Herren Anarchisten, die anfangs immer das große Wort hatten, das Geld, das sie für das Libertäre Zentrum erhielten, in ihre Privatkanäle fließen lassen. Werkzeug wurde abgezogen. Der Computer, den sie von der Hamburger FAU bekommen hatten, wurde privatisiert und dient jetzt einer allen bekannten Person zu Computerspielen. Ein anderer von diesen Leuten hat mir neulich gesagt, für ihn wäre es einfach eine Möglichkeit gewesen, Knete und Sachen abzuziehen. Ihm wäre von vornherein klar gewesen, daß mit diesem Haus nichts läuft. Dazu grinste er.

Erna: Das Infocafé war zwischendurch mal ein halbes Jahr zu. Dann haben wir es wieder aufgemacht und bis jetzt hat es sich ganz gut gehalten. Am Infoladen arbeiten eine Reihe von Leuten mit, die mit dem Haus nichts zu tun haben. Wir haben Bücher, Zeitschriften, Aufkleber, T-Shirts, was man so im Infoladen führt. Viele Leute aus dem Haus können damit gar nichts mehr anfangen, für sie ist das Wohnen in den beiden Häusern ganz nett, weil es billig ist. Die Hoffnung, daß Leute aus dem Kietz kommen, hat sich nicht ganz so erfüllt, wie wir dachten. Aber durch die zentrale Lage, dadurch, daß wir am U-Bahnhof und an der Schönhauser liegen, haben wir bessere Voraussetzungen als beispielsweise das Bandito Rosso.

telegraph: Vielleicht könnt Ihr, Barbara und Detlef, jetzt einmal darüber berichten, wie das Baobab entstanden ist?

Barbara: Aus zwei Solidaritätsgruppen. Die eine war eine Nikaragua-Gruppe, die andere eine Arbeitsgruppe für das südliche Afrika. Wir kannten und aus der DDR-Zeit über die Cabana, ein Begegnungszentrum für Aus- Und Inländer, die wir zusammen gemacht haben. Die Cabana gibt es heute noch. Damals hatte sie besonders den Zweck, daß die ausländischen Vertragsarbeiter eine Stätte haben sollten, um sich mit Leuten, die Lust dazu hatten, zu treffen, zu quatschen, u.s.w... Wir hatten dann, im Oktober 1989 die Idee, daß wir eigentlich etwas anderes wollen. Nicht nur einmal in der Woche in Räumen einer Kirchgemeinde, die erst eingerichtet und danach wieder in den alten Zustand gebracht werden mußten. Das war zu aufwendig und entsprach nicht unseren Vorstellungen von politischer Bildungsarbeit. Es gab eine Initiative Dritte-Welt-Zentrum, zu der in einer Annonce aufgerufen wurde. Am Anfang machten sehr viele Leute mit. Wir haben Räume gesucht und da damals sehr viel Leute in der Winsstraße wohnten und wußten, daß diese Räume seit langem leer standen, haben wir zunächst bei der Wohnungsverwaltung nachgefragt und schließlich, als wir dort keine Antwort bekamen, besetzt. Das war im Februar 1990. Dann haben wir die Räume ausgebaut.
Auch unsere Vereinsregistrierung durch die DDR wurde dann, nach der sogenannten Wiedervereinigung, nicht anerkannt. Wir mußten diesen Prozeß, wie so viele, wiederholen. Das Amtsgericht Charlottenburg fand es nicht verständlich, warum wir uns "Dritte Welt-Zentrum" nennen. Wir haben lange darüber diskutiert, obwir es darauf ankommen lassen. Aber wir brauchten die Gemeinnützigkeit. Schließlich haben wir uns auf den Namen "Baobab- Infoladen, Eine-Welt-Laden" geeinigt. Später, ab Ende 1990, gab es hier die ersten ABM-Stellen. Und ab Mai oder Juni 1991 haben wir den Laden in der Wichertstraße aufgemacht, in dem 3.-Welt-Produkte aus dem alternativen Handel und Biohandel verkauft werden.

telegraph: Welche Erfahrungen habt Ihr mit ABM-Stellen gemacht?

Barbara: Viele Leute, die sich früher für die Vereinsbelange, also auch den ätzenden Verwaltungskram, verantwortlich gefühlt haben, haben sich zurückgezogen. Sie dachten mit einem gewissen Recht, daß es dafür die Hauptamtlichen gibt. Viele sind weggegangen oder gehen in den Arbeitsgruppen ihren Interessen nach. Dazu kommt sicher, daß sich die Lebensräume verändert haben, viele mit Studieren anfangen konnten.

telegraph: Wie man so schön sagt: ABM-Stellen machen Gruppen kaputt.

Dietmar: Aber es hat nicht nur an ABM-Stellen gelegen. In unserem Projekt in der Lottumstraße 10a waren zunächst auch eine ganze Masse Leute beteiligt und haben sich dann schnell zurückgezogen: Die Grüne Liga, die Umwelt-Bibliothek und eine Lesbengruppe. Zum Schluß blieben nur noch Leute vom RAJF (Revolutionärer Autonomer Jugendverband) und von der Antifa. Die Antifa in der KvU bestand aus 50 bis 100 Leuten, aber höchstens 10 Leute interessierten sich für das Haus. Im Zeitraum Januar, Februar 1990 ist dann die Antifa der KvU auseinandergefallen. Dieser RAJF hat sich völlig zersplittert, auch die Fraktion, die bei uns im Haus mitgearbeitet hat.
Wir haben zunächst den Infoladen gemacht. Das, haben wir gesagt, ist der zentrale Teil. Wenn wir das geschafft haben, können wir über die anderen Räume nachdenken. Bis März 1990 haben wir gebaut. Erst danach sind wir eingezogen. Zunächst haben wir eine Infocafé gemacht, das jeden Tag offen war, mit open end. Nach einigen Monaten hatte niemand mehr Lust, Dienst zu machen.

Maik: Es artete zu einer reinen Kneipe aus. Es kamen viele Leute, die wir nicht kannten, mit denen wir auch nicht reden konnten, weder politisch noch sonstwie. Sie haben einfach eine Kneipe gesucht.

Dietmar: Die Zeitungen, die auf den Regalen gelegen haben, verstaubten und haben niemand interessiert. Nach einem halben Jahr haben wir dann Schluß gemacht. Wir haben den Infoladen nur noch nachmittags aufgemacht und nur noch einmal in der Woche Kneipe. 1991 haben wir begonnen, unser Zeitschriftenarchiv aufzubauen.

Maik: Wir haben die verschiedenen Redaktionen angeschrieben, ob sie uns nicht kostenlose Exemplare schicken können. Bei 30% hat es geklappt.

Dietmar: Wir haben über 200 Hefter zu allen Themen, die du dir vorstellen kannst, 3. Welt, Antifa, Internationalismus, Kriegsdienstverweigerung, Frauen, Ökologie, Anti-Atomkraft, Lesben und Schwule. Es hat sich dann aber auch schnell herausgestellt, daß sich die anderen Leute aus dem Haus immer weniger für den Infoladen interessiert haben.

telegraph: Aber anders als in der Schönhauser Allee 20 und 21 haben die Leute in der Lottumstraße 10a auch jetzt noch miteinander etwas zu tun.

Maik: Vielleicht hatten wir bis jetzt dadurch Glück, daß die Vertragssituation für das Haus relativ günstig aussieht, daß wir für den Laden keine Miete zahlen und auch keine ABM-Stellen genommen haben.

Erna: Wir zahlen in der Schönhauser 20 für unseren Infoladen auch keine Miete, haben dafür aber umso mehr Streß mit Leuten, die sich unsere Eigentümer nennen und mit der SPI, dem Sozialpädagogischen Institut, unserem Sanierungsträger, das im Statut eine Passage hat, daß es ihr Ziel ist, besetzte Häuser zu entpolitisieren.

telegraph: Versuchen wir das mal voneinander zu trennen. Die ABM-Maßnahmen haben zur Zersetzung der Gruppen geführt. Aber es gab darüber hinaus eine mächtige Tendenz zur Entpolitisierung der Leute. 1989 interessierten sich sehr viele Leute auch für Dinge , die sie nicht unmittelbar angingen. An einer Mauer steht jetzt noch die Inschrift "Ceausescu, du bist der letzte!". Das ist sehr schnell zurückgegangen. Woran liegt das eigentlich? Ihr sagtet, daß einige studieren, andere das taten, was sie schon immer mal machen wollten?

Erna: Wenn ich mir angucke, was in der sogenannten linken Szene abläuft, verstehe ich, daß viele Leute darauf keine Lust mehr haben. Da gibt es nur noch Hick-Hack, jeder will dem anderen etwas andichten, jeder lästert über die anderen. Es wird ohne Ende diskutiert und kommt zu keinem Punkt mehr. Du kannst nichts Konstruktives mehr machen, weil immer wieder irgendwelche Leute kommen und dir das kaputt reden.

Barbara: Bei uns ist zwar der Veranstaltungsschwerpunkt nach wie vor Dritte Welt, aber es ist auch einer starke Antifa-Gruppe entstanden. Einige Leute, die damit nicht einverstanden sind, weil sie lieber Projektarbeit machen wollten, haben sich zurückgezogen. Unter anderem, weil sie befürchteten, daß wenn bei uns Antifa-Arbeit gemacht wird, ein Übergriff von Nazis geschehen kann. Wenn hier Ausländer sitzen, kann natürlich genau das gleiche passieren. Es gab ziemlich lange Auseinandersetzungen, die leider nicht konsequent zu Ende gebracht wurden. Es ging darum, ob wir weiter einen Infoladenmachen wollen oder ob uns auch Büroräume reichen. Für mich wäre es vorbei mit dem Verein, wenn wir uns auf ein Büro beschränken.

Dietmar: Ich kann mich an einen Vorfall entsinnen, als im Baobab eine Party war und drei Häuser weiter eine Naziparty stattfand. Die Nazis begannen zu provozieren und jemand aus derm Baobab hat die Antifa-Kette alarmiert. Es kamen etwa 40 Leute und es gab verhältnismäßig lächerliche Auseinandersetzungen mit einigen Faschos, Schubsereien und Pöbeleien. Einige Leute aus dem Baobab sind durchgedreht und haben uns beschimpft: "Ihr seid Gewalttäter! Ihr provoziert die Nazis mit Eurer Anwesenheit erst richtig!" Die Antifas waren empört. Erst wurden sie gerufen, dann wurden sie beschimpft. Sie haben natürlich erklärt, daß sie jetzt nicht mehr ins Baobab kommen.

Erna: Das ist ja teilweise bis heute so. Viele sagen, daß sie nicht mehr ins Baobab gehen.

telegraph: Es gibt doch offensichtlich einen Unwillen, sich miteinander zu verständigen, selbst bei Leuten, die untereinander ganz minimale Unterschiede haben, in der Taktik oder in den Inhalten. Die verschiedenen Szenen driften auseinander.

Detlef: Ich würde bezweifeln, daß es minimale Unterschiede sind. Es sind Unterschiede, bei denen es richtig ist, daß sich die Leute auseinander differenzieren. Die Vorstellungen sind Unterschiedlichl Barbara hat das für den Baobab geschildert. Die einen verschließen sich der Erkenntnis, daß ein Projekt wie dieses ohnehin gefährdet ist und nicht nur, weil es hier eine Antifa-Gruppe gibt, die anderen nicht. Wenn du die Zusammenarbeit mit den Antifas nicht willst, hast du entweder die Chance, das Projekt zuzumachen, weil es sonst irgendwann zerkloppt wird oder du versuchst, was natürlich auch nicht geht, mit diesen Nazis einen Kompromiß zu finden.

telegraph: Der Baobab steht ebenfalls auf der "Einblick"-Liste, der Schwarzen Liste der Nazis. Ebenso wie die Lottumstraße 10a. Die Schönhauser 20 steht aus irgendeinem Grund noch nicht darauf.

Erna: Wir sind auch ganz froh darüber.

Dietmar: Die Adressen sind ziemlich alt und einfach nur aus dem Antifa-Kalender abgeschrieben.

telegraph: Das ist wohl nicht ganz richtig. Die Umwelt-Bibliothek, die ebenfalls auf der "Einblick"-Liste steht, ist im Antifa-Kalender noch unter ihrer alten Adresse vermerkt. Die Herren haben sich wohl immerhin die Mühe gemacht, die Adressen zu überprüfen und auf den neuesten Stand zu bringen.

Detlef: Die Verstimmung der Antifa-Leute war jedenfalls außerordentlich massiv. Andererseits waren die Leute, die sich beschwert haben, nicht dieselben, die die Antifa-Kette ausgelöst haben. Als dann einige Monate später der Kommunalwahlkampf war, war hier die FAP ganz besonders aktiv und begann sich auf den Laden einzuschießen. Einzelne von uns überlegten, wie sie wieder Kontakt mit den Antifas bekommen und den vergangenen Konflikt beilegen, auf der anderen Seite haben sich einige Antifa-Leute, egal, was gelaufen war, entschlossen zu kommen. So ist der Kontakt wieder entstanden.

telegraph: Es ist also, wenn ich nocht einmal zusammenfassen darf, eine Frage von Verbindlichkeit, von Konsensfähigkeit und der Frage, daß klar wird, welche Verantwortung an der Sache hängt. Daß man mit seinem Leben dafür einstehen muß. Das führt zwar dazu, daß die Leute abspringen, die diese Verantwortung ablehnen, es führt aber auch dazu, daß es immer weniger Leute werden, die die Läden machen.

Dietmar: Ich möchte noch einen anderen Aspekt einbringen. Es springen viele Leute ab, die sich große Dinge vorgestellt haben, was passieren kann, was erreicht werden kann. Sie haben sich mit viel Energie da hineingestürzt und erkennen nach ein bis zwei Jahren, daß nichts geschehen ist, die Weltrevolution nicht gekommen ist. An vier von fünf geöffneten Tagen ist der Laden leer. Du sitzt im Infoladen deine vier Stunden Dienst ab. Du machst schon Purzelbäume, wenn jemand aus dem Haus den Kopf hereinsteckt und ein Bier oder einen Kaffee trinkt. Wenn dann tatsächlich noch jemand kommt, der eine Zeitschrift kauft oder sich gar das Archiv ansehen will, bist du ganz weg. Nach einem solchen Jahr ist es bei vielen Leuten aus.

Maik: Trotzdem mache ich diesen Leuten den Vorwurf, daß sie nicht überlegen, wie etwas zu verändern ist, beispielsweise die Öffnungszeiten oder wie wir uns mehr öffentlich machen können. Zu sehen, was die Ursachen sind, was wir anders machen können. Sie sagen dann irgendwann einen kurzen Satz und kommen von Hundert auf Null.

telegraph: Es handelt sich ja meistens um sehr junge Leute, die dazugekommen sind und sehr hochgespannte Erwartungen haben. Es muß sich im Laufe der Zeit eine realistische Haltung einstellen oder die Leute gehen. Die meisten gehen. Welche Motivation gibt es überhaupt noch, eine solche Arbeit weiterzumachen. Was wollt ihr, die ihr solche Läden betreibt, erreichen?

Erna: Zu uns in den Laden kommen zwar nicht viele Leute. Aber du hast eben eine Stammkundschaft, die sich beispielsweise die "Interim" holt. Ein Älterer, so über 50, holt sich hin und wieder ein Buch über Anarchismus. Ein anderer kommt, einen Kaffee zu trinken und macht ein Pläuschchen. Das ist auch schön. Wenn ich den Infoladen nicht machen würde, würde mir etwas fehlen. Du triffst immer noch Leute, mit denen du etwas anfangen kannst.

Detlef: Im Baobab herrscht immerhin relativ reger Verkehr. Das hat sicher viel damit zu tun, daß der Laden von seiner Herkunft her nicht ein autonomes Projekt war. Daher kommt es, daß der Baobab nach vielen Seiten offen ist und von vielen Szenen reflektiert wird. Dennoch gibt es Leute, die behaupten, daß zu wenig Publikum kommt. Dieselben Leute übersehen, daß der Wegfall einer Struktur wie der Baobab-Infoladen bedeutet, daß ein politischer Zusammenhang kaputt gemacht wird, der sehr viel weiter ist als der Verein und die Arbeitsgruppen. Es gibt auch Leute, die nur ab und zu auftauchen. Den Baobab zuzumachen, würde bedeuten, innerhalb einer bestimmten politischen Szene den Vereinzelungs- und Individualisierungsprozeß zu fördern. Es gäbe einen Kommunikationspunkt nicht mehr, du wärest darauf angewiesen, in den Szene-Kneipen im Prenzlauer Berg herumzuziehen und darauf zu hoffen, daß du den einen oder anderen triffst und daß er jetzt mit dir gerade über Politik reden will.

Dietmar: Den Zahn, daß wir in unsere Läden, in unsere Projekte den Bürger von nebenan reinkriegen, den politisch unbedarften Menschen, der nicht engagiert ist, den Zahn haben wir uns schon vor zwei oder drei Jahren gezogen. Was ich aber überhaupt nicht begreife, ist, daß die sogenannte politische Szene unsere Infoläden bestenfalls als Einkaufsshop benutzt, um sich mit den neuesten Aufklebern und Spuckis zu versorgen oder die "Interim" zu kaufenl Daß aber das Archiv, immer wieder angepriesen, praktisch nicht genutzt, nicht angenommen wird, das verstehe ich nicht.

telegraph: Andererseits, a propos "Interim", ist das Niveau des Materials, das angeboten wird, nicht allzu hoch. Sind die Inhalte, die wir anzubieten haben, überhaupt noch so attraktiv? Hängt das Nachlassen des Publikumsinteresses nicht auch mit der zunehmenden inhaltlichen Verdünnung zusammen.

Erna: Irgendwo schon. Andererseits entspricht das, was sich in den Zeitschriften abspielt, dem Allgemeinbild in der Linken. Es wird alles immer flacher.

Maik: Andererseits liegen im Infoladen nicht nur Zeitschriften herum. Wir zeigen beispielsweise alle zwei Wochen Videos und diese Veranstaltungen sind gelegentlich auch gut besuchtl Danach kann man Bier trinken und darüber reden.

Dietmar: Aber mit diesen Videos ist auch wieder so eine Kultgeschichte. Du mußt Filme haben, die superheiß sind oder sie müssen erstmals gezeigt werden. Aber manchmal stehst du dann ganz allein. Das SOS zeigt auch immer Donnerstags Videos. Sie haben wochenlang, als sie künstlerische und politische Videos gezeigt haben, das fast für sich allein gemacht. Vor zwei Wochen haben sie Terminator 1 und 2 angeboten und das SOS war brechend voll. Die ganze Szene aus dem Prenzlauer Berg war da. In den anderthalb Jahren, in denen ich jeden Mittwoch Videos angeboten habe, war an zwei Tagen der Laden gerammelt voll. Das eine Mal kam "Eat the Rich", ein einschlägig bekannter Kultfilm, das andere Mal war es der Mainzer-Straße-Film. Zu dieser Zeit habe ich den Film "Die Wahrheit macht frei" angeboten. Den kannte zu dieser Zeit noch fast niemand. Wir hatten damals eine englische Fassung, die im schwedischen Fernsehen gelaufen war. Wir haben diesen Film mit Plakaten angeboten und es sind zwei oder drei Leute gekommen. Ein paar Monate später war der Film in Fernsehen gelaufen und auch durch die Presse bekannt geworden. Er lief dann im SOS und es war rappelvoll. Es geht um Kultgeschichten. Wenn etwas angesagt ist, geht man hin.

Detlef: Es ist wahrscheinlich auch ein Ausdruck dafür, daß die Dinge,die wir machen, nicht mehr den persönlichen Bedürfnissen der Leute entsprechen. Weil sie natürlich auch von dem, was in der Gesellschaft attraktiv ist, angesprochen werden. Viele Leute, die hier in Arbeitsgruppen sitzen, ziehen es vor, nach der Sitzung in der Szene-Kneipe gegenüber zu verschwinden. Sie nehmen der Baobab nicht als Ort der Kommunikation wahr, sondern gehen lieber in einer Kneipe mit einer entsprechend gestalteten Athmosphäre.

Barbara: Ihnen geht es nicht in den Kopf, daß, wenn sie sich so verhalten, immer weniger miteinander reden. Andererseits beklagen sie das manchmal sogar.

Dietmar: Das ist auch bei uns so. Wir haben auch zwei Gruppen, denen wir jede Woche unsere Räume zur Verfügung stellen. Die treffen sich bei uns regelmäßig, machen ihre Sitzung und gehen. Die siehst du sonst nie bei uns und die würden auch nie auf die Idee kommen, die Kommunikationsangebote zu den normalen Infoladen-Öffnungszeiten zu nutzen.

Erna: Bei uns kommt noch hinzu, daß wir einen reinen Infoladen haben. Die Möglichkeit, einen Kaffee oder Tee zu trinken, wird kaum genutzt. Wenn der Infoladen zu hat, dann macht die Kneipe auf. Dort gehen die Leute rein und trinken ihr Bier. Und da kommt es dann schon eher dazu, daß sie miteinander reden.

telegraph: Es hängt offenbar damit zusammen, daß die Infoläden thematisch zu stark bestimmt sind. Es ist kein neutrales Feld. Man glaubt nicht privat kommunizieren zu können, wenn man das überhaupt will und kann. Wahrscheinlich schließen sich Privates und Öffentliches gegenseitig aus.

Dietmar: Unser Hauptraum war ursprünglich Archiv. Selbst die Leute aus unserem Haus meinten, daß die Kneipe deshab nicht voll wird, weil überall Aktenordner herumstehenl Dann haben wir renoviert und das Archiv ist nach hinten gekommen. Die Kneipe wird jetzt immer voller. Wir haben eine Stange, an denen verschiedene Flugblätter hängen und hinter dem Tresen ein Bücherregal. Es war ein harter Kampf, zumindestens dieses Bücherregal, das Zeitungsregal und die T-Shirts gegen diejenigen zu verteidigen, die meinten, daß das die Gäste der Kneipe abstößt.

telegraph: Dietmar, du sagtest, daß ein normales Publikum nicht kommt. Aber gibt es von unserer Seite nicht ein Interesse daran? Zu uns kommen verschieden uniformierte Leute, von den langen Haaren der älteren Baujahre bis zu den verschiedensten Uniformierungen der Jugendszene - das ist in den verschiedenen Läden unterschiedlich. Leute, die dem nicht entsprechen, werden merkwürdig angeschaut: "Wer sind denn die?" Es gibt schon von der Ausstattung der Läden her für das normale Publikum eine Hemmschwelle. Es sieht halt ein bißchen müllig aus oder ein Plakat macht klar, daß hier im Laden eine bestimmte Deutung des Falls Wolfgang Grams erwünscht ist, die der Besucher eventuell so nicht teilen kann.

Erna: Zu uns kam mal ein Normalbürger rein, der für mich etwas abgeben wollte. Er sagte, daß er eine Hemmschwelle hatte, in ein besetztes Haus hineinzugehen. Er dachte, daß dort sowieso nur Chaoten sind. Er war völlig überrascht, daß die Laute nett und freundlich sind und mit ihm ganz normal umgegangen sind.

Dietmar: Teilweise kann das sein. Es wird durch die Medien ein bestimmtes Bild von besetzten Häusern und Infoläden gegeben. Ich erinnere mich noch an den "Welt"-Artikel von vor zwei Jahren, wo Infoläden als Zentralen des Terrorismus und der RAF, als Kommunikationsknotenpunkte der gewalttätigen Chaotenszene dargestellt wurden. Darauf fallen natürlich viele Leute heirein. Ich kann aber auch ein Gegenbeispiel nennen. Wir haben vor zwei Jahren, kurz vor der ersten Mieterhöhung, in Zusammenarbeit mit der Mietergemeinschaft einen Informations-Abend gemacht. Das haben wir zwei- oder dreimal probiert. Wir haben vor der Tür eine riesengroße Informationstafel angebracht. Die Leute brauchten nicht in den Laden kommen, sondern mußten nur lesen. Wir sind durch das Kietz gerannt, haben Einladungen in die Briefkästen gesteckt, haben uns kompetente Leute herangeholt. Am ersten und zweiten Abend ist niemand gekommen. Am dritten Abend - nach der Mieterhöhung -, saßen in unserem Raum vierzig Leute. Eine Frau von der Mieterinitiative und ein Anwalt war da. Den Leuten ging es um ihre eigene Wohnung. Einer fragte, wie er am besten seine Wohnung kaufen kann, die andere fragte, ob sie wegen des fehlenden Hauslichts Mietminderung beantragen kann. Es ging nicht um die Sache insgesamt, sondern um sie persönlich. Sie saßen da und erwarteten irgendwelche Rezepte.
Interessant war die Reaktion darauf, daß Möglichkeiten angeboten wurden, die Mieterhöhung hinauszuzögern, also sich mit dem Staat anzulegen: Beschwerde einlegen, Verwahrung, Sperrkonto und sonstige Tricks. Von Mietboykott war ja gar nicht die Rede. Aber das wollten die Leute nicht hören, das war radikal! Um Gottes Willen - gegen die Gesetze des Staates verstoßen!
Danach haben wir noch einmal einen Informationsabend gemacht, da kam wieder niemand. Sie sind einmal gekommen und haben sich ausgeheult.

Barbara: Bei uns ist es auch so. Was normale Leute von nebenan anzieht, ist Rechtsberatung. Und da kommen sie dann auch mit ihren privaten Belangen. An solchen Punkten haben sie keine Hemmungen.

Detlef: Ich denke auch, daß neben dieser Hemmschwelle, die existiert, der Grund für das mangelnde Interesse von Normalbürgern diese Differenz ist zwischen dem, was sie interessiert und dem, was uns interessiert. Wir gehen ja auch in der Regel nicht in die normalen Kneipen.

telegraph: Diese Normalbürger haben doch, jedenfalls in einer starken Minderheit, einmal 1989 eine positive Erfahrung mit Solidarität gemacht. Sie haben sich entschlossen, etwas gemeinsam zu fordern und das, was sie wollten, ist ja dann auch eingetreten. Ist es nun die Enttäuschung darüber, daß das, was sie eigentlich wollten, nicht eingetreten ist oder ist dieser Geist von Solidarität, den es damals gab, einfach weg?

Barbara: Aber wozu hat es geführt? Das, was sie jetzt an Angebot haben, materiell und kulturell ist so groß, daß es den meisten reicht. Und wahrscheinlich gibt es eine Reihe von Leuten, die über den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung enttäuscht sind.

Detlef: Ich denke, daß es eine Ausnahmesituation war, die es vorher nicht gegeben hat und die es so nachher nicht gab. Was es an positiven Erfahrungen gab, daß die Leute solidarischer waren, daß sie offener miteinander umgingen, viel mehr Interesse aneinander hatten, - all das hat sich aus unterschiedlichen Gründen im Alltag nicht so weiter tragen lassen. Als Westdeutscher erinnere ich mich an die Erfahrungen von Brockdorf 1977. Da war innerhalb der AKW-Szene ein unheimlicher Aufbruch. Da hat sich persönlich sehr viel unter den Leuten verändert. Nachdem aber vom Staat voll zurückgeschlagen wurde und klar war, daß die Bewegung den Bach runter geht, tauchte die alte Scheiße wieder auf. All die positiven Erfahrungen, die eine kurze Zeit da waren, wurden vergessen. Es war nicht zu konservieren.

Dietmar: Das Jahr nach der Wende war ein Jahr der Euphorie. Selbst die Zeit unter de Maiziere war locker-flockig. Da gingen Dinge, die zu den lockersten DDR-Zeiten nicht möglich waren. Du konntest jeden Polizisten anblasen: "Du Schwein warst bestimmt schon zu DDR-Zeiten Bulle." Da ist er zusammengezuckt und hat dich machen lassen.
Was die Leute von uns halten, das erleben wir in unserer Straße. Da gibt es zwei, drei Omas, die uns grüßen und mit uns quatschen. Aber die Leute vom Haus gegenüber, ein Ehepaar mit einem Kind, haben ihrem Kind verboten, auf unserer Straßenseite zu spielen. Voriges Jahr haben wir im Sommer ein Straßenfest gemacht. Da kamen sie und haben sich besoffen. Anschließend gingen sie stinkvoll auf unseren Hof, das Kind durfte im Bassin mit den anderen Kindern spielen, sich mit uns unterhalten und dort herumrennen. Am andern Morgen war wieder alles vorbei. Das Kind durfte wieder nicht mehr mit uns sprechen.

Maik: Ein Soziologiestudent aus dem Haus nebenan hat in unserer Straße mal eine Meinungsumfrage durchgeführt. Die Grundmeinung über die Leute in den besetzten Häusern war, daß die den ganzen Tag vögeln und pennen.

telegraph: In dem Film, den Kaktus über die Behindertenkommune Hartroda zu DDR-Zeiten gemacht hat, hieß es so schön: "Sie glauben, daß wir uns ihre unerfüllten und verdrängten Sehnsüchte erfüllen." Andererseits haben sie Angst, sich gegenüber der Obrigkeit in ein schiefes Licht zu bringen, indem sie mit Leuten zu verkehren, die offensichtlich nicht die obrigkeitliche Billigung haben.

Dietmar: Sie behaupten, daß wir Dreckschweine sind. Wir haben schon ein paar mal Nachbarn erwischt, daß sie ihren Müll bei uns auf dem Hof abgeladen haben. Wenn du sie ansprichst, gucken sie dich an wie ein Auto: "Wieso, bei euch liegt doch der Müll rum, euch stört das doch nicht."

Erna: Andererseits kommen bei uns ständig Leute an und sagen: "Ihr habt doch nicht so viel, wollt ihr dies oder das haben?" Es hängen Zettel an der Tür: "Wir haben noch altes Geschirr." Eines Tages stand ich vor dem Haus und einer kam auf mich zu. Er hatte kurze Haare, Lederjacke, Jeans und sehr feste Schuhe. Ich dachte: "Um Gottes Willen, das ist ein Fascho!" Er kam auf mich zu, ich wurde immer kleiner. Er: "Eh, du wohnst doch hier!" Ich: "Ja." Er: "Ich hab' da eine Couch, könnt ihr die vielleicht brauchen?" Ein anderes Mal kam eine Frau in den Infoladen und sagte: Ich habe gesehen, ihr habt hier sehr viele Hunde. Wollt ihr nicht unseren haben, wir können ihn nicht mehr halten?" Das sind ganz normale Leute, die ab und zu noch nach ihrem Hund gucken.

Dietmar: Das sind alles so Episoden. Wir müssen es mal auf einen Punkt bringen. Was für eine Motivation haben wir eigentlich noch, einen Infoladen zu machen? Hat es noch einen Sinn? Wollen wir uns nicht eingestehen, das es keinen Sinn hat? Ist es Selbstzweck?

telegraph: Einiges ist ja zwischendurch gesagt worden: Daß diese Infoläden eine Grundstruktur einer solidarischen Gesellschaft sind und daß sie das nach wie vor noch verkörpern, für die einen im negativen Sinn, für die anderen positiv.

Detlef: Selbst wenn sich unsere Beziehungen auf wenige Normalbürger beschränken, die zur Rechtsberatung kommen, beeinflussen wir durch unsere bloße Anwesenheit das Klima im Kietz. Wir zeigen dadurch, daß wir da sind. So wie wir sind, zeigen wir, daß es etwas anderes gibt als diese ganz normalen Läden und Kneipen. Dadurch halten wir Möglichkeiten offen. Ich kann dir nichts handhabbareres sagen, keine Erfolge vorweisen, aber wir beeinflussen das Kietz.

Barbara: Das sehe ich ähnlich. Ich bin eher pessimistisch, etwas zu erreichen, ich habe zur Zeit auch keine handhabbaren Perspektiven. Ich will nur nicht weiter zurück. Das reicht mir zunächst erst mal.

Das Gespräch führten Barni Gerollheimer und W. Rüddenklau

[Telegraph, 1, 1994]

home

Selbstverstaendnis und Geschichte von Infoläden

Vernetzung der Infoläden

Adressen

Links ins WWW

Publikationen

Struktur dieser Seiten

[zum Anfang]    *    zuletzt aktualisiert am: 06.05.2001