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Materialien
des Bündnisses "Fence Out Terror!"
Der ehrbare Antisemitismus
In Deutschland, dem
Land, dessen Wohlstand auf den Leichenbergen von Auschwitz gründet,
will niemand mehr Antisemit sein. Die Deutschen haben aus der Geschichte
die Lehre gezogen, dass sie den gemeinsam begangenen Judenmord bereuen
und die Schuld daran anerkennen müssen, um aus erhobener Position
mit dem moralischen Zeigefinger auf die einstigen Opfer zeigen zu können.
Ihre auf dem gesamten Erdball verteilten BewunderInnen indes haben aus
der Geschichte gelernt, dass es sich lohnen kann, sich der Krise, als
deren UrheberInnen die Juden und Jüdinnen ausgemacht werden, durch
Massenmord zu entledigen. Wenn dieses Modell bei den Deutschen funktioniert
hat - da sind sich die islamistischen NacheiferInnen sicher - so wird
es auch an einem anderen Ort Erfolg haben. Solcherlei Phantasien halten
selbstverständlich keiner rationalen Überprüfung stand,
weil der Antisemitismus in den seltensten Fällen als Macht- oder
Herrschaftskalkül benutzt wird, sondern blanker Wahnsinn ist.
Die Deutschen aber, zwanghaft auf der Suche nach Jüdinnen und Juden,
die noch am Leben sind und ständig darin verwickelt, halluzinierte
jüdische Züge bei PolitikerInnen, Millionären oder US-Präsidenten
ausfindig zu machen, richten ihre Hoffnungen auf Fortführung des
von ihnen begangenen Projektes verstärkt auf die PalästinenserInnen,
die sie treffsicher als ihr alter ego entdeckt haben. Um aber weitermachen
zu können wie bisher, erklären sie stolz, der Antisemitismus
habe in Deutschland keine Chance: „Wir haben die besondere Verantwortung,
die Erinnerung an den Holocaust und das Gedenken an die Opfer wachzuhalten.
Wir müssen uns auch künftig mit seinen Ursachen und Folgen auseinandersetzen
und die Wiederholung einer solchen Entwicklung ausschließen. Die
Erinnerung an das Geschehene ist Teil unserer nationalen Identität.“
(Resolution Antisemitismus bekämpfen des Deutschen Bundestages vom
11.12.03) Weil die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und
Juden nicht nur ein Teil deutscher Identität ist, sondern die postnazistische
Nation durch das Wissen um das gemeinsam begangene Verbrechen erst zusammengehalten
wird, gilt die „Identität eines Massenmörders“ (Wolfgang
Pohrt) den Deutschen als eine positive Eigenschaft, mit der sich wunderbar
Weltpolitik machen lässt: „Zumindest verfügen wir Europäer
über Fähigkeiten, die wir zum Tragen bringen können; Talente,
die wir erworben haben - teilweise auf Grund unserer Geschichte -, sowie
Sensibilitäten, die uns eigen sind. (...) Damit können wir uns
einbringen, nicht nur im Palästina-Konflikt, sondern in der gesamten
islamischen Welt.“ (Joschka Fischer im Interview mit dem Spiegel
Special 2/2003)
Deutschland
als Vorbild
Und sie bringen sich ein: Ob als Finanziers des palästinensischen
Terrors, als GehilfInnen der Hizbollah beim Freipressen von Gefangenen,
als Stimme der Friedensbewegung zur Unterstützung Saddam Husseins
oder als Atomtechnik-Lieferanten für das iranische Mullah-Regime
- die Deutschen und ihre europäischen Kollaborateure sind immer dabei,
wenn es darum geht, der islamistischen Raserei unter die Arme zu greifen.
Denn - so lautet zweifelsohne die Botschaft, die bei den Gotteskriegern
ankommt und ankommen soll - die Deutschen kennen sich aus in Sachen „Judenfrage“.
Deswegen werden sie im arabischen Raum nicht nur als historisches Vorbild
verehrt, sondern vertrauensvoll als Bundesgenossen anerkannt. Und das
nicht erst, seit jedem Dummkopf klar geworden sein muss, dass die Angelegenheit
mit dem „Kampf gegen den Terror“ von den Deutschen nie so
heiß gegessen wurde, wie sie aus Rücksicht auf die USA gekocht
wird. Es musste kein Mzoudi und kein Motassadeq trotz erdrückender
Beweise freigelassen werden, die Richter mussten nicht zum ersten Mal
in der Geschichte der BRD in einem Anti-Terror-Prozess das Gebot in dubio
pro reo entdecken, damit den IslamistInnen klar wurde, dass Deutschland
für sie ein ruhiges Hinterland ist. Jede/r, der/ die auch nur einmal
im Monat die Zeitung liest oder hin und wieder mal Fern sieht, muss wissen,
dass in Deutschland - besonders, aber nicht nur an den linken und rechten
Stammtischen - der Antizionismus, die „ehrbare“ Form des Antisemitismus
(Jean Amery), Massenkonsens ist. Die AntizionistInnen selbst ahnen, dass
ihre Israel-Kritik sich aus blankem antisemitischen Ressentiment speist:
Schließlich würden sie sich sonst nicht beständig von
einer imaginierten Antisemitismus-Keule bedroht wähnen.
Die sogenannte „Israel-Kritik“ wird längst nicht mehr
nur von linken ScharfmacherInnen betrieben, sondern vom ostdeutschen Strassennazi
bis zum Chef der Evangelischen Kirche, von der FDP-Basis bis zum bündnisgrünen
Gummibären-Double Bütikofer hat sich längst ein Konsens
etabliert, der da lautet: Israel ist selbst schuld am Terror, der seine
BürgerInnen trifft. Eine modernisierte Variante des alten antisemitischen
Stereotyps, die Jüdinnen und Juden trügen selbst die Verantwortung
für den aufkommenden Antisemitismus, weil sie ihn beständig
durch ihr Handeln provozierten. Der Antizionismus hat den rassistisch
auftretenden Antisemitismus in Deutschland größtenteils abgelöst,
der nur noch als Objekt der Abgrenzung dient, um hemmungslos gegen Israel
hetzen zu können. Noch jeder Israel-Feind kann seinen Juden präsentieren,
der als authentischer Kronzeuge bestätigen soll, dass die Juden ein
kriegslüsternes und arrogantes Volk seien: Sei es Norman Finkelstein,
sei es Uri Avnery oder eben jener Moshe Zuckermann, der sich nicht mal
mehr zu schade ist, unter ausgemachten BefürworterInnen des palästinensischen
Terrors gegen Israel zu wettern.
Solidarität
mit Israel!
Was wir diesem Treiben entgegensetzen wollen, ist die unbedingte Solidarität
mit Israel. Unbedingt bedeutet nicht - wie es immerzu von den GegnerInnen
Israels unterstellt wird - mit allem, was in Israel stattfindet, einverstanden
zu sein. Denn das ist niemand, auch keine Israelin und kein Israeli, weil
Israel kein Himmelreich ist, sondern - immerhin! - eine bürgerliche
Gesellschaft. Unbedingte Solidarität bedeutet, trotz aller negativen
Momente, die einer bürgerlichen Gesellschaft nun einmal notwendig
zukommen, zum jüdischen Staat zu stehen. Wir stellen keine Bedingungen
für unsere Solidarität an Israel. Wir fordern nicht, dass Israel
erst eine kommunistische Gesellschaft zu sein habe, bevor wir uns mit
ihr solidarisieren können, sondern sprechen uns im vollen Bewusstsein
der Tatsache, dass Israel eine kapitalistische und staatlich verfasste
Gesellschaft ist, für Israel, dem Zufluchtsort vor dem Antisemitismus,
aus. Israel ist jedoch nicht nur ein Zufluchtsort vor dem Antisemitismus
- die Gefahr Opfer des Antisemitismus zu werden, dürfte momentan
sogar in vielen Staaten geringer sein als in Israel - sondern vor allem
ist Israel die Staat gewordene Emanzipation der Jüdinnen und Juden
von der Abhängigkeit gegenüber nicht-jüdischen Gesellschaften.
Diese Abhängigkeit hat sich nämlich in der Geschichte immer
als letztlich mörderisch herausgestellt. Israel gibt den Jüdinnen
und Juden die Möglichkeit sich gegen den Antisemitismus bewaffnet
zur Wehr zu setzen. Israels oberster Staatszweck besteht darin, potenzielle
Opfer des Antisemitismus aufzunehmen, sie zu schützen und den Antisemitismus
zu bekämpfen.
Mit diesem Zweck können
wir uns als KommunistInnen restlos identifizieren, bedeutet doch das KommunistIn-Sein
nicht das Herunterbeten von abgeschmackten Dogmen, sondern das Eintreten
für eine Gesellschaft, in der „jeder Mensch ohne Angst verschieden
sein kann“ (Adorno). Weil die dem Zerfall der bürgerlichen
Gesellschaft innewohnende Todesdrohung sich zuerst gegen die Jüdinnen
und Juden wendet, hat die Bekämpfung des Antisemitismus - in welcher
Gestalt auch immer - für uns Priorität. Mit Antisemitismus wird
sich keine kommunistische Gesellschaft herstellen lassen. Nur in diesem
Sinne ist die Rede unserer GegnerInnen von der antideutschen Identitätspolitik
gar nicht mal so falsch, auch wenn sie damit unfreiwillig ausplaudern,
dass sie selbst kein Interesse daran haben, die Morde an Jüdinnen
und Juden zu beenden.
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