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Materialien
des Bündnisses "Fence Out Terror!"
Matthias Küntzel: „Stop the terror“ oder „Stop
the wall“?
Stellungnahme von Matthias Küntzel anlässlich der Protestveranstaltung
„Fence Out Terror!“ vom 4. Juni 2004 gegen die antizionistische
Konferenz „Stop the wall in Palestine“ in Köln.
Die Existenz Israels
unumwunden in Frage zu stellen ist hierzulande verpönt. Wer aber
dem jüdischen Staat ein Recht auf Widerstand gegen diejenigen Länder
und Organisationen abspricht, die ihn erklärtermaßen auslöschen
wollen, stellt dessen Existenz ebenfalls in Frage. Die Kölner Konferenz
„Stop the wall in Palestine“ will Israel das Recht auf Selbstverteidigung
gegen den Suizid-Terror nicht einmal in Form eines Zauns zugestehen. Im
Aufruf und in den Begleitpapieren zu dieser Konferenz taucht die Tatsache,
dass unzählige Terroranschläge auf Zivilisten den Plänen
für den Sicherheitszaun vorausgegangen waren, nicht einmal auf. Diese
Konferenz hat nicht Gerechtigkeit und Frieden im Nahen Osten zum Ziel,
sondern den kaum verhüllten Angriff auf Israels Existenz. Die Ausklammerung
der Warum-Frage und die gezielte Ignoranz gegenüber der Bedrohung
durch islamistischen Terror ist aber kennzeichnend für den deutschen
Diskurs.
Wir alle erinnern
uns an die Vorfälle im Gazastreifen, die im Mai 2004 Schlagzeilen
machten: die Zerstörung von Häusern in Rafah, die Tötung
und Leichenschändung der israelischen Soldaten, die Tötung von
unbewaffneten Teilnehmern einer palästinensischen Demonstration.
Viele Informationen aus Rafah sind bis heute widersprüchlich geblieben,
eines aber ist klar: Die Aktivitäten der israelischen Armee dienten
dem Ziel, den Transfer schwerer Waffen, Raketen und Panzerfäuste
aus Ägypten nach Gaza durch unterirdische Tunnel zu unterbinden.
Seit Beginn dieses Jahres wurden 12 derartiger Tunnel aufgespürt
und zerstört. Seit Beginn der II. Intifada waren 90 Tunnel entdeckt
worden und auch jetzt wurden Tunnel von erstaunlichen Ausmaßen aufgestöbert:
8 m tief und über 600 Meter lang! –Doch auch in der Berichterstattung
über „Rafah“ wurden wesentliche Fragen nicht einmal gestellt.
Erstens: Warum leisten palästinensische Gruppen einen erbitterten
bewaffneten Widerstand gegen die Zerstörung die Waffentunnel, wo
doch der Abzug aller jüdischen Siedlungen aus dem Gaza-Streifen und
die Übergabe des kompletten Gebiets an die Palästinenser eine
so gut wie beschlossene Sache ist? Für Eingeweihte ist die Antwort
klar: Dahinter steckt die erklärte und wohlbekannte Ambition der
Hamas, der Hiszbollah, Syriens und des Iran, Israel zu vernichten und
nicht einen palästinensischen Staat an der Seite Israels, sondern
einen islamischen Staat an der Stelle Israels zu errichten. Es geht um
die Ambition, einen palästinensisch regierten Gazastreifen zum neuen
Brückenkopf des Djihadismus zu machen, um den „Heiligen Krieg“
gegen Israel von hier aus eskalieren zu lassen. Nur für diesen Zweck
werden Waffentunnel auch nach Übergabe des Gaza-Streifens an die
Palästinenser gebraucht. Nur für diesen Zweck macht die bewaffnete
Verteidigung dieser Tunnel einen Sinn. Doch welcher TV-Report, welcher
Zeitungsartikel hat diesen Zusammenhang thematisiert? Die zweite Frage,
die niemand stellte: Warum lässt Ägypten die Existenz dieser
Tunnel zu? Welche Maßnahmen ergreift die Europäische Union,
um die ägyptische Regierung zur Zerstörung dieser Tunnel auf
dem eigenen Terrain zu veranlassen und somit israelische Einsätze
wie den in Rafah überflüssig zu machen? Und drittens: Was hat
die Palästinensische Autonomiebehörde getan, um ihrer Verpflichtung
aus dem Oslo-Abkommen nachzukommen und diese illegalen Tunnel zu schließen?
Ahmed Kurei, der palästinensische Ministerpräsident, war Mitte
Mai in Berlin und wurde dort von Joschka Fischer, Johannes Rau und Gerhard
Schröder wie ein Ehrengast empfangen. Niemand aber stellte diese
Frage, niemand kritisierte dessen Politik. Stattdessen erklärte der
Bundeskanzler im Anschluss an sein Gespräch mit Kurei - ich zitiere
das Bundespresseamt vom 17. Mai - : Der nahöstliche Friedensprozess
„lasse sich nur aufrechterhalten, wenn eine Deeskalation der Gewalt
erreicht werde. Insbesondere die Zerstörungen im Gaza-Streifen durch
die israelische Armee müssten beendet werden. Dies betreffe die Stadt
Rafah, aber auch andere Bereiche, so der Bundeskanzler.“
Mit keinem Wort ging der Gerhard Schröder auf den illegalen Waffentransfer
ein. Die offensive Ambition, die hinter diesem Waffenschmuggel steckt,
blieb unerwähnt. Der Bundeskanzler beschwor heuchlerisch die „Deeskalation
der Gewalt“ und wusste doch genau, dass diese „Deeskalation“
solange verbaut ist, wie die Waffentunnel offen bleiben. Die Frage, was
Israel eigentlich tun soll, wenn weder Ägypten noch die Palästinensische
Autonomiebehörde der islamistischen Waffenschieberei entgegentritt,
blieb ausgespart. Stattdessen wurde das Land, auf das Hamas seine Kassam-Raketen
immer wieder ziellos abzufeuern pflegt, zum blindwütigen Täter
gestempelt. Stattdessen unterstellte auch der Bundeskanzler, dass Israel
im Gaza-Streifen Zerstörung um der Zerstörung willen praktiziert.
Was wir in jener Woge
des anti-israelischen Ressentiments am Beispiel „Rafah“ erneut
erlebten, war, dass Israel gegenüber ein anderer Maßstab angelegt
wird, als gegenüber jedem anderen Land der Welt. Nach der jüngsten
Statistik hat die II. Intifada mit ihren Selbstmordattentaten bislang
900 Israelis – Soldaten wie Zivilisten, Juden wie Muslime –
das Leben gekostet, mehr als 6.000 wurden verwundet. Wenn ich diese Zahlen
aus einem Land mit 6 Mio. Einwohnern auf Deutschland mit seinen 82 Mio.
Einwohnern übertrage, wären es hierzulande 12.300 durch Terror
getötete Menschen und mehr als 82.000 Verwundete in weniger als vier
Jahren. Sie kennen alle die berühmte Passage aus Shakespeares Kaufmann
von Venedig, Shylocks Anklage gegen den Judenhass, in der er fragt: „Wenn
ihr uns stecht, müssen wir nicht bluten? Wenn ihr uns kitzelt, müssen
wir nicht lachen? Wenn ihr uns vergiftet, müssen wir nicht sterben?
Und wenn ihr uns Unrecht tut, sollen wir uns nicht rächen?“
Israel aber scheint heute der Jude unter den Staaten zu sein. Es scheint
nicht zu bluten, wenn man es sticht und es darf sich nicht verteidigen,
wenn man es angreift.
Als schließlich
am 19. Mai 2004 im Kontext der Auseinandersetzungen in Rafah etwas Fürchterliches
passierte und unbewaffnete Teilnehmer einer palästinensischen Demonstration
von israelischen Soldaten getötet wurden, artikulierte der Sprecher
der israelischen Streitkräfte unmittelbar darauf „deep sorrow
over the loss of civilian lives“, so die New York Times, und erklärte,
das „der ausgesprochen gravierende Vorfall“ untersucht werde.
Der israelische Justizminister, Yosef Lapid, sprach von einer „menschlichen
und diplomatischen Tragödie“, sekundiert vom stellvertretenden
Verteidigungsminister Zeev Boim, er erklärte: „We must express
regret at the loss regardless of the numbers and details.“ Obwohl
diese Stellungnahmen von einem Wertemaßstab zeugen, der den Moralvorstellungen
in den von Arafat kontrollierten Medien genau entgegengesetzt ist –
hier werden bekanntlich Selbstmordattentäter, die jüdische Zivilisten
zerfetzen, bejubelt und verehrt – wird die Dämonisierung Israels
fortgesetzt und wird mit dem unsäglichen Wort von der „Gewaltspirale“
das Vorgehen israelischer Soldaten mit dem Todesrausch suizidaler Massenmörder
in Eins gesetzt. Soviel zum deutschen Blick auf Israel. Nun zur deutschen
und europäischen Politik gegenüber Arafat und der Hamas.
Nicht Israel hatte
den Palästinensern den Krieg erklärte – weder 1948, noch
1967, noch 1973 noch im Jahr 2000 -, sondern es verhielt sich stets umgekehrt.
Im Jahr 2000 zog der israelische Ministerpräsident Ehud Barak die
israelischen Truppen aus dem Libanon ab und machte der palästinensischen
Seite in Camp David und Taba das bis dahin weitest gehende Angebot: 100
% des Gaza-Streifens und 97% der Westbank an die Palästinenser; Aufteilung
Jerusalems in einen jüdischen und einen muslimisch-arabischen Teil.
Bekanntlich zog sich Jassir Arafat vom Verhandlungstisch zurück,
ließ die Kader der Hamas-Kriminellen aus den Gefängnissen frei
und spornte ab September 2000 die II. Intifada an. Nur zwei Monate nach
Beginn dieser Intifada, im November 2000, reiste Gerhard Schröder
als erster Regierungschef der EU nach dem Scheitern von Camp David in
enger Abstimmung mit der damaligen französischen Ratspräsidentschaft
in den Nahen Osten und besuchte auch Arafat. „Die EU hat das Gewicht,
Arafat zu einer Entscheidung zu bewegen“, erklärte hierzu Ehud
Barak. „Will Arafat Frieden oder Krieg?“
In der Tat befanden sich Deutschland und die EU in einer Schlüsselposition:
Seit dem Amtsantritt der rot-grünen Regierung war Berlin zum wichtigsten
Geldgeber der Palästinensischen Autonomiebehörde avanciert:
Keine andere Bevölkerungsgruppe der Welt wird seither, umgerechnet
auf die Bevölkerungszahl, mit höheren deutschen Zuwendungen
bedacht. Als aber Bundeskanzler Schröder im November 2000 Jassir
Arafat besuchte, drängte er nicht auf dessen Rückkehr zum Verhandlungstisch.
Er signalisierte dem PLO-Chef ganz im Gegenteil für dessen Intifada
grünes Licht: Aus deutschen Delegationskreisen hieß es damals,
„Schröder wolle keinen Druck auf Arafat ausüben, damit
dieser wieder an den Verhandlungstisch zurückkehre. Es sei nicht
sinnvoll, weitere Entwicklungshilfe an die politische Kompromissbereitschaft
der Palästinenser zu koppeln.“[1] An diesem 1. November 2000, dem
Besuch Schröders bei Arafat, wurde somit eine Weiche gestellte. Man
hätte mit dem Druckmittel der Entwicklungshilfe Arafat zum Frieden
mit Israel zwingen und damit die Lebensbedingungen insbesondere der Palästinserinnen
und Palästinener schlagartig verbessern können. Ungeachtet aller
Lippenbekenntnisse wollte man dies aber gerade nicht, sondern ließ
der Selbstmordintifada freien Lauf. Mehr noch: Von nun an wurde Entwicklungshilfe
mit propagiertem und praktiziertem Judenmord in Einklang gebracht. Nach
Zunahme der Selbstmordattentate wurden auch Arafats Finanzhilfen weiter
erhöht.
Als Israel im Gegenzug zu Arafats radikaler Kehrtwende die Transferzahlungen
an die Palästinenser im Februar 2001 einfror, weil damit Mordanschläge
gegen die Bewohner Israels finanziert würden, sprang die EU in die
Bresche. Statt den israelischen Hinweisen auf eine verabredungswidrige
Verwendung der Gelder auch nur ein einziges Mal nachzugehen, wurden zusätzlich
90 Millionen Euro als direkte Haushaltshilfe überwiesen. Als Arafat
im Juni 2001 erneut Geldsorgen hat, weist die EU „der Palästinensischen
Autonomiebehörde von Juni 2001 an eine monatliche Haushaltshilfe
von zehn Millionen Euro an – direkt und nicht länger als ,Projekthilfe’.
Bezahlt werden davon auch die Gehälter von Polizisten .... , die
nach Feierabend für Terrormilizen bomben. Die Israelis legen bei
Arafat sichergestellte Zahlungsbelege auf den Tisch, nach denen Gehälter
für Täter von jenen Konten abgebucht wurden, auf die die EU
einzahlt. Gutachten des Bundesnachrichtendienstes und der Inspekteur-Teams
des EU-Amtes zur Betrugsbekämpfung halten die Dokumente für
authentisch.“[2] So trugen offizielle EU-Subventionen zu Massakern
an Israelis bei.
Yoel Esteron, der
Herausgeber der linksliberalen israelischen Tageszeitung Ha’aretz
prangerte diese Politik schon im Dezember 2001 an: „Seit den frühesten
Tagen der Intifada hat die Haltung der Europäer Arafat in dem Glauben
bestärkt und sogar ermutigt, er könne mörderische Terrorakte
anordnen, ohne in irgendeiner Weise sein Gesicht in Europa zu verlieren
... Die EU ist der generöse Finanzier der PA. Ohne dieses EU-Geld
würde sie keinen Monat überleben. Dieses Geld erlaubt es Herrn
Arafat, den Sold für seine 40.000 Soldaten zu bezahlen, die dem Terror
ein Ende setzen könnten, wenn sie nur den entsprechenden Befehl erhielten.
... Die europäischen Regierungen und anderer professionelle Gutmenschen
... sind mitverantwortlich für die Fortsetzung dieses bewaffneten
Kampfes, dem Hunderte auf beiden Seiten zum Opfer fielen. An ihren Händen
klebt ebenfalls Blut ... Die EU muss Arafat klar machen, dass europäisches
Geld nur dann weiterhin auf seine Konten fließen kann, wenn er das
Richtige tut.“[3] Die Bundesregierung und die EU
haben diesen Aufruf bis heute ignoriert. Noch im Februar 2004 hielt Gerhard
Schröder an seinem Kurs von November 2000 fest und erklärte
gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde, „die
deutsche Hilfe auf dem gegenwärtigen Niveau beizubehalten und auch
die Unterstützung der EU, zu der Deutschland etwa ein Drittel beitrage,
in der jetzigen Höhe zu halten.“[4] Warum aber haben Deutschland und
die EU auf die zweite Intifada und die Eskalation der Gewalt gesetzt?
Ich komme nach meiner Darlegung über die Hamas auf diese Frage zurück.
Denn besonders bemerkenswert ist der Umgang mit den Islamisten, deren
suizidale Massenmorde das Bild der II. Intifada prägten. In der gängigen
europäischen Betrachtung und auch in den Stellungnahmen der Veranstalter
der morgigen Konferenz werden diese Anschläge als „Verzweiflungstaten“
bewertet, als – so der Arbeitskreis Nahost, Berlin - „Ergebnis
von Entwürdigung, Entrechtung, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit“.
Diese Parteinahme für den Terror hat mit der Realität nichts
zu tun.
Zwar ist es richtig, dass die Situation vieler Menschen auf dieser Welt
verzweifelt und ohne Perspektive ist. Niemals und nirgendwo aber haben
Menschen aus ihrer hoffnungslosen Lage die Konsequenz gezogen, sich ausgerechnet
in vollbesetzten Bussen oder überfüllten Restaurants mit dem
Vorsatz des Massenmords in die Luft zu sprengen.
Zweitens sind die testamentarischen Videobotschaften der palästinensischen
Attentäter keineswegs von Verzweiflung, sondern von Stolz und Begeisterung
geprägt: „Es geht hier nicht um Selbstmord-Anschläge“,
erklärte Scheich Qaradawi, einer der einflussreichsten sunnitischen
Prediger der muslimischen Welt, „hier geht es um heroische Märtyrer-Operationen,
und die Helden, die sie ausführen, werden nicht aufgrund von Hoffungslosigkeit
und Verzweiflung dazu getrieben.“
Drittens aber zeigt
besonders gut das Beispiel der Hamas, dass diese menschlichen Bomben immer
dann neue Massaker auslösten, wenn die Chance einer Konfliktlösung
und die Aussicht auf Verbesserung der Situation der Palästinenser
in Sichtweite war: Die Selbstmordattentäter der Hamas verhinderten
im Jahre 2000 die Wiederwahl von Barak und sorgten für den Wahlsieg
von Scharon. Sie torpedierten mit dem Massaker von Netanja im März
2002 die aufkeimende Hoffnung auf eine Friedenslösung und machten
mit ihren Massakern in 2003 die mit der „Road Map“ verbundenen
Hoffnungen zunichte.
Das eigentliche Motiv dieser Attentate geht aus ihrer programmatischen
Erklärung von 1988, der Charta der Hamas hervor, in der jede Dialoglösung
mit Israel und jede Zwei-Staaten-Lösung prinzipiell abgelehnt und
die Vernichtung Israels zum einzig legitimen Djihad-Ziel erklärt
wird. Warum aber will die Hamas Israel um jeden Preis vernichten? Hier
nun kommt der islamische – man kann auch sagen: islamfaschistische
– Antisemitismus ins Spiel. So, als hätten die Autoren der
Hamas-Charta beim Abfassen ihres Textes die Seiten des berüchtigsten
antisemitischen Machwerks, der Protokolle der Weisen von Zion, offen aufgeschlagen
neben sich liegen gehabt, so werden in dieser Programmschrift den Juden
alle Bösartigkeiten“ der Weltgeschichte unterstellt: „Die
Juden standen hinter der Französischen Revolution und hinter der
kommunistischen Revolution“. Sie standen „hinter dem Ersten
Weltkrieg, um so das islamische Kalifat auszuschalten ... und standen
auch hinter dem Zweiten Weltkrieg, in dem sie immense Vorteile aus dem
Handel mit Kriegsmaterial zogen.“ Sie veranlassten „die Gründung
der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats, ... um die Welt durch
ihre Mittelsmänner zu beherrschen. Es gab keinen Krieg an irgendeinem
Ort, der nicht ihre Fingerabdrücke trüge.“ In Artikel
32 dieser Charta, wird endlich auch das Original benannt: „Das Programm
der Zionisten wurde in den Protokollen der Weisen von Zion ausgebreitet
und ihr gegenwärtiges Verhalten ist der beste Beweis für das,
was dort gesagt wurde.“
Man möchte über
derartigen Irrsinn lächeln, wie einst über das Gebrabbel eines
Adolf Hitler gelächelt wurde. Doch eben dieser wahnwitzige Begriff
von Juden als dem absoluten Bösen und Weltübel ist es, der der
islamistischen Begeisterung über das Selbstmordattentat gegen israelische
Zivilisten das Motiv verleiht. Wer Juden und wen immer sie dafür
halten, tötet, begeht im Verständnis der Islamisten kein Verbrechen,
sondern einen Akt der Befreiung, für den Gott im Himmel einen Lohn
gewährt. Deshalb drücken die testamentarischen Videoaufzeichnungen
der suizidalen Massenmörder nicht Verzweiflung, sondern Begeisterung
und Freude aus.
Mehr noch: Wenn die
Juden das absolute Böse darstellen, dann muss Israel – in antisemitischer
Diktion die „Kommandozentrale“ – restlos zerstört
werden. Und dann stellt die geforderte Auslöschung des jüdischen
Staats nur den ersten Schritt dar, um Juden, wo immer in der Welt, zu
vernichten. Der renommierte Erforscher des Holocaust, Jehuda Bauer, formulierte
es so: „Die Sprache des Islamismus ist klar und deutlich genozidal.
Eine Wiederholung des Massenmordes an den Juden wird angestrebt, das ist
schwarz auf weiß nachzulesen.“
Und dennoch weigerte
sich der Europäische Ministerrat noch bis Juli letzten Jahres, die
Konten der Hamas einzufrieren und die Organisation auf die Liste terroristischer
Organisationen zu setzen. Die Aktivitäten der Hamas seien „legitim“,
betonte der Sprecher der EU-Kommission, Reijo Kempinnen, da sie soziale
Dienste leiste und Kliniken betreibe. „Dass die Hamas in ihrer Gänze
eine Terrororganisation sei, ist gewiss nicht unsere Position.“[5] Obwohl dies im September 2003 offiziell zumindest
revidiert wurde, hat die Europäische Union entgegen aller Ankündigungen
den politischen Flügel der Hamas bis heute nicht auf die Liste der
verbotenen internationalen Terrorgruppen gesetzt. Überall in Europa
setzt diese Terrorgruppe die Sammlung von Geldern weiterhin fort.[6]
Die eigentlichen
politische Katastrophe aber ist die Reaktion der europäischen Öffentlichkeit:
Als sich die Selbstmordattentate im Frühjahr 2002 häuften, brach
die Popularität der palästinensischen Sache in Europa nicht
in sich zusammen. Sie wurde im Gegenteil mit jedem Massaker stärker.
Von nun an gingen antijüdischer Terror und progressive Menschenrechts-Attitüde
Hand in Hand. Die morgige „Stop the wall“-Konferenz steht
in dieser ebenso politisch wie moralisch haltlosen Tradition. Man weigert
sich beharrlich, die Charta der Hamas und die Existenz des islamischen
Antisemitismus auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Weil man aber diesen Teil
der Wirklichkeit so verleugnet wie andere Auschwitz verleugnen, weil man
die suizidalen Massenmorde stattdessen als eine rationale Reaktion auf
reale Bedingungen zu interpretierten sucht, deshalb wird der palästinensische
Terror zum neuen Maßstab für die Schuld der Israelis gemacht.
Dann lautet die Devise: „Je barbarischer der antijüdische Terror,
desto ungeheuerlicher die israelische Schuld.“
Diese massenhafte Selbstnarkotisierung des Bewusstseins bleibt selbstverständlich
nicht ohne Folgen: Der Verzicht auf Klarheit ist der Beginn der Komplizenschaft.
Wer den Antisemitismus nicht erkennen, ihm nicht entgegentreten will,
macht sich zu dessem Komplizen und übernimmt ihn schlussendlich selbst.
Wer darauf hofft, in Israel den Sündenbock für islamistische
Gewalt gefunden zu haben, lenkt nicht nur von den Zielsetzungen des Islamismus
ab, sondern knüpft mit dieser neusten „Der-Jud-ist-schuld“-Variante
an uralte Muster des europäischen Antisemitismus wieder an. Das Ergebnis
ist dann jene so unheimliche Sympathie für die Greueltaten der Hamas
und ein Hass auf den israelischen Zaun auch deshalb, weil dieser den Greueln
der Selbstmordbomber einen Riegel vorgeschoben hat.
Diese Stimmungslage
in Europa wäre kaum vorstellbar ohne die damit korrespondierende
europäische und deutsche Politik. Was treibt die Deutschen und die
Europäer zu dieser Politik? Wirtschaftsinteressen? Machtkalküle?
Sozialpsychologische und ideologische Motive?
Sozialpsychologisch ist der Hass auf Israel durch ein Phänomen motiviert,
dass der israelische Psychologe Rex Zwi mit dem berühmten Satz: „Die
Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ umschrieb. Sein
Bezug auf Deutschland greift jedoch zu kurz. Seit den ersten Jahrhunderten
des Christentums fanden Antisemitismus und Judenverfolgung ausschließlich
in Europa statt. Vor tausend Jahren rotteten Kreuzfahrer in zahlreichen
Massakern die Juden in fast ganz Gallien aus. In Worms wurden damals 800
Juden in nur zwei Tagen massakriert. 11.000 französische Kinder wurden,
nur weil sie jüdisch waren, nach Auschwitz deportiert und so weiter
und so fort.
Ich halte die Vermutung für plausibel, dass Ausläufer eines
hieraus resultierenden Schuldgefühls im christlichen Europa nach
wie vor virulent sind. Dies aber würde bedeuten, dass jedwedes „Verbrechen“,
für das man Juden oder gar den jüdischen Staat verantwortlich
machen kann, wie eine Entlastung wirkt. Der von Sigmund Freud analysierte
Wunsch, „sich Glücksversicherung und Leidensschutz durch wahnhafte
Umbildung der Wirklichkeit zu schaffen“, ist in Deutschland freilich
besonders ausgeprägt. Das Ausmaß der massenhaft begangenen
NS-Verbrechen korreliert mit einer Art Sonderbedarf an Entlastung. Ein
Beispiel: 69 % der Österreicher und 65 % der Deutschen gaben letztes
Jahr auf die Frage, welcher Staat den Frieden in der Welt derzeit am meisten
bedrohe, in „wahnhafter Umbildung der Wirklichkeit“ ausgerechnet
Israel an, während im EU-Durchschnitt 59 Prozent so votierten.
Politisch wirksam ist zudem das unendlich tief im deutschen Gemüt
verwurzelte völkische Element. Diese Ideologie setzt eine bestimmte
Vorstellung von Subjekt voraus: Hier wird das Individuum nicht als ein
politisches Subjekt betrachtet, sondern durch Herkunft oder „Abstammung“
– also kollektivistisch – definiert. Daraus resultiert einerseits
eine Sichtweise auf den Nahost-Konflikt, die das mit den Attributen der
„Künstlichkeit“ und der „Fremdheit“ versehene
Israel mit der Romantik eines als „authentisch“ empfundenen
palästinensischen Kampfes um Heimat, Gemeinschaft, Olivenbäume
und Boden kontrastiert und für Letzteres emphatisch Partei ergreift.
Daraus folgt andrerseits die so verhängnisvolle „Ent-Subjektivierung“
der arabischen Bevölkerung in Palästina: Man weigert sich, sie
als bewusst handelnde Subjekte wahrzunehmen, die die Freiheit haben, auf
eine bestimmte Situation so oder anders zu reagieren. Infolgedessen wird
uns „der palästinensische Widerstand“ als ein geschlossener
Block präsentiert, dessen kollektive Emotion sich angesichts israelischer
Übermacht wie unter dem Bann eines Naturgesetzes nur noch reflexartig
terroristisch entladen könne. Die 942 Palästinenser, die im
Laufe der I. Intifada nachgewiesenermaßen durch Palästinenser
getötet wurden, weil sie angeblich Kollaborateure für Israel
gewesen seien, fallen dann ebenso unter den Tisch, wie die entschiedenen
Kritiker der II. Intifada, die teils ermordet, teils stillgestellt wurden
und wie die politischen Häftlinge der Autonomiebehörden, die
auch heute noch bekanntermaßen misshandelt und gefoltert werden.
Natürlich hat die europäische Nahostpolitik auch eine ökonomischen
Dimension: Europa bezieht 40% seines Ölbedarfs aus dem Mittleren
Osten, die USA nur 20%. Von den Ölbeständen der OPEC-Länder
liegen aber 90 % unter der Erde islamischer Staaten. Da liegt es nahe,
sich der Israelpolitik der arabischen Welt lieber anzupassen anstatt diese
herauszufordern und israelische Interessen lieber hinten an zu stellen,
anstatt sie zu verteidigen. Darüber hinaus ist heute der Mittlere
Osten – besonders Saudi-Arabien und Iran - ein Eldorado der deutschen
Exportwirtschaft, speziell im Bereich Maschinenbau. Dessen Export-Zuwachsraten
im Mittleren Osten lagen 2002 bei 25 % und 2003 bei 23 %. Ich glaube allerdings
nicht, dass die ökonomische Dimension politikbestimmend ist. Japan
z.B. bezieht nicht nur 40 % seines Ölbedarfs aus dem Mittleren Osten,
wie die Europäer, sondern 80 % und verfolgt dennoch eine anderen
Politik.
Bedeutsamer scheint mir das Konkurrenzmotiv gegenüber den USA zu
sein. Frankreich und Deutschland verfolgen machtpolitisch das erklärte
Ziel, den Einfluss der USA im Nahen und Mittleren Osten einzuschränken.
1998 schwärmte der Leiter es Deutschen Orientinstituts, Udo Steinbach,
von der enormen „Sympathie, die Deutschland traditionell in der
gesamten Region entgegengebracht wird“, wobei jene „traditionelle
Sympathie“ die bis heute virulente Bewunderung für den Nationalsozialismus
umfasst. Aus diesem Grund, so Steinbach weiter, werde Deutschland „im
Nahen Osten weithin als künftige Großmacht gesehen“,
die „ein Gegengewicht gegen eine allzu dominante amerikanische Machtausübung
bilden kann“.[7] Der 11.
September und der Krieg gegen Irak haben den Ehrgeiz insbesondere Frankreichs
und Deutschlands, sich als Widersacher der USA in der arabisch-islamischen
Welt zu profilieren, weiter verstärkt. Um in dieser Konkurrenz Punkte
zu machen, wird gezielt auf die Kooperation mit Islamisten gesetzt, die
man – so ein Papier der Bertelsmann-Stiftung – gegen eine
„undifferenzierte Antiterrorkriegsführung der Amerikaner“
zu verteidigen verspricht.
Selbst islamistisch motiviert Massenmorde können in diesem Spiel
europäische Trumpfkarten sein. Es war der Terror der Hamas, der Deutschland
und der EU die Genugtuung verschaffte, erstmals im Kontext der Road-Map
als Mitspieler im Nahost-Konflikt anerkannt zu sein. Es waren die großen
Terroranschläge im Irak, durch die sich die USA genötigt sahen,
die UN und die EU in ihre Planungen stärker einzubeziehen. In einem
Leitartikel der FAZ benannte deren außenpolitischer Ressortleiter
das darauf abgestellte Kalkül: „Können machtpolitisch
selbstbewusste Länder möglicherweise daran interessiert sein,
dass der Erfolg [der USA im Kampf gegen den Terror] nicht triumphal und
auch nicht eindeutig ausfällt?“ [8] Zweifelsohne eine rhetorische Frage: Jeder außenpolitische
Erfolg der USA ist ungünstig für den Stellenwert der EU. Je
größer aber der amerikanische Misserfolg, je „weniger
triumphal“ ihr Kampf gegen den Terror, desto größer die
Gelegenheit für Deutschland und die EU, sich als eigentliche Alternative
zu profilieren und so vom Scheitern der USA zu profitieren.
Durch diese Konkurrenzbeziehung ist Israel in dreifacher Hinsicht tangiert.
Erstens betrachtet Deutschland Israel inzwischen als „das Lieblingstierchen
der Amerikaner“, wie der Präsident des Jüdischen Weltkongresses,
Israel Singer, zu Recht konstatiert. Und so ist Kritik an Israel Teil
deutscher Bestrebungen, sich politisch von den Vereinigten Staaten zu
emanzipieren. Zweitens kommt die europäische Kooperation mit dem
Islamismus einer Ermunterung des Djihad gegen Israel gleich. Drittens
aber geht diese Kooperation mit Islamisten mit einer Be-mäntelung
des islamischen Antisemitismus einher.
Bekannt ist das Ganze unter dem irreführenden Label „Kritischer
Dialog“. Dieser Dialog setzt die Akzeptanz von Antisemitismus geradezu
voraus: Man hockt zusammen und plaudert höf-lich über Demokratie
und Kultur und weiß doch ganz genau, dass diejenigen, mit denen
man so freundlich parliert, Israel um jeden Preis auslöschen wollen
und auslöschen werden, sofern nichts geschieht. Doch genau das wird
nicht thematisiert. Da schweigt des Sängers Höflich-keit.
Eben dies geschah
im Februar dieses Jahres in Beirut, als der think tank der deutschen Regie-rungspartei
SPD – die Friedrich-Ebert-Stiftung – und dem think tank der
islamistischen Ter-rororganisation Hizbollah eine gemeinsame Tagung unter
dem bezeichnendem Titel „Die Islamische Welt und Europa –
Vom Dialog zur Übereinkunft“ veranstaltete. Die Hiszbollah
betreibt in Beirut einen eigenen und leider sehr erfolgreichen TV-Sender
namens Al-Manar („das Leuchtfeuer“), der auf weitere Selbstmordattentate
gegen Israelis nicht nur drängt, son-dern sie inspiriert, sie rechtfertigt
und sie feiert. Ein Vierteljahr vor der gemeinsamen Hizbol-lah/SPD-Konferenz
strahlte dieser Sender beispielsweise eine 29-teilige Spielfilm-Serie
als Verfilmung der Protokolle der Weisen von Zion aus. Darin zeigte man
in Großaufnahme die Schlachtung eines christlichen Jungen, aus dessen
Blut Juden angeblich ihr Passah-Brot berei-tet hätten. Folge für
Folge wurde in dieser Serie, die 10 Millionen Menschen täglich über
Sa-tellit empfangen konnten, das Phantasma der jüdischen Weltverschwörung
kolportiert: Juden hätten beide Weltkriege ausgelöst, die Chemiewaffen
erfunden und Hiroshima und Nagasaki zerstört.
Gleichwohl wurde auf der Beiruter Konferenz die antisemitische Agitation
von Al-Manar nicht einmal thematisiert. Stattdessen erprobte man den „Wandel
durch Annäherung“, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung dieses
Projekt umschrieb, mit Hilfe derjenigen anti-imperialistischen Topoi,
die den deutschen und den arabischen Traditionsbeständen gleichermaßen
eigen sind: „Neo-Kolonialismus oder ,wohlwollende Hegemonie’?“
lautete ein Thema dieser Konferenz. „Widerstand und Besatzung“
und „Selbstbestimmung und Unabhängigkeit in einer globali-sierten
Welt“ waren zwei weitere Schwerpunkte.
Solche eine sich progressiv drapierende Anbiederung an einen Nazi-ähnlichen
Antisemitis-mus und an Bewegungen, die Israel erklärtermaßen
auslöschen wollen, ist eben das, was mor-gen in Köln erneut
geschehen soll.
Es ist kein Zufall, dass all die Unterlagen der morgigen Konferenz über
Hamas und Hizbol-lah, über Islamischen Djihad und die Al-Aqsa-Brigaden
kein Wort verlieren und keine Ab-grenzung formulieren. Selbst aus der
sogenannten „Kölner Erklärung“, wie sie in den Mobili-sierungsflugblättern
verbreitet wird, wurde der einzige Satz, der als halbherzige Abgrenzung
vom Islamismus hätte interpretiert werden können, wieder herausgekürzt.
Es kennzeichnet aber die Bodenlosigkeit der deutschen Linken und der deutschen
Friedens-bewegung - den Bundesausschuss Friedensvorschlag ebenso wie das
Komitee für Grundrech-te und Demokratie, den Internationalen Versöhnungsbund
und andere, dass sie gegenüber dem offenkundigen Antisemitismus der
Islamisten keinen Trennungsstrich ziehen wollten. Sie haben auf diese
Weise den Verlust jeglicher humanitärer Maßstäbe dokumentiert.
Für sie gilt heute das Wort des Antisemitismus-Forschers Leon Poliakov:
„Wer den Antisemitismus in seiner primitiven und elementaren Form
nicht anprangert, und zwar gerade deshalb nicht, weil er primitiv und
elementar ist, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht dadurch
den Antisemiten in aller Welt ein Zeichen heimlichen Einverständnisses
gibt.“
[1]
Archiv der Gegenwart vom 9. November 2000, S. 44580.
[2]
Martin Klingst, Spenden für Arafat, in: ZEIT, 15. April 2004.
[3]
Zit. nach International Herald Tribune, 14. Dezember 2001.
[4]
Lt., Keine zusätzliche Hilfe, in: FAZ, 18. Februar 2004.
[5]
Philip Carmel, Under pressure from France, E.U. desides against Hamas
ban, in: JTA (Global News Service of the Jewish People), 6. Juli 2003
[6]
Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 10. März 2004.
[7]
Udo Steinbach, Der Nahe Osten in der deutschen Außenpolitik, in: Aus
Politik und Zeitgeschichte, B 12/1998, S. 25ff.
[8]
Klaus-Dieter Frankenberger, Im Strom der Weltpolitik, in: FAZ, 19.
Oktober 2001.
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